Radio LORA, April 2011
Anlässlich des 15 jährigen Bestehens des unabhängigen Radiopolitmagazins „Democracy Now!“ diskutiert der weltberühmte Linguist, Pazifist und Politikkritiker, Prof. Noam Chomsky, mit Juan Gonzalez, dem Gründer der Rundfunkstation, und mit Amy Goodman, der Chefmoderatorin von Democracy Now! Thema der Sendung, bei der auch Hörerfragen beantwortet werden, ist der Versuch des neuen republikanischen Gouverneurs von Wisconsin, die Macht der Gewerkschaften zu beschneiden.
„Prof. Chomsky, ich heiße Ryan Adserias, ich bin Doktorand an der Universität von Wisconsin und komme aus einer seit vielen Generationen gewerkschaftlich organisierten Arbeiterfamilie. Sie wissen vermutlich von unseren massiven Protesten hier in der Hauptstadt Madison gegen Gouverneur Scott Walkers Versuch, die vor 50 Jahren erkämpften Mitspracherechte der Arbeiter zu beschneiden. Unsere Schulen blieben für mehrere Tage geschlossen, Universitätslehrer veranstalteten Teach-Outs, Studenten solidarisierten sich, weil unser Gouverneur und mehrere seiner Kollegen den Gewerkschaften verbieten wollen, weiterhin kollektive Tarifverträge auszuhandeln. Bei unserem Kampf für das Überleben der Gewerkschaften, erhalten wir auf nationaler Ebene wenig Unterstützung, deshalb möchte ich Sie fragen, was wir außerdem noch unternehmen können, um die Vertreter der Demokraten in Washington und andere progressive Politiker für unser Anliegen zu gewinnen.“
Noam Chomsky:
Die führenden demokratischen Politiker unternehmen nichts, weil sie der gleichen Ansicht sind. Auch sie versuchen, die Gewerkschaften abzuschaffen. Schauen Sie sich doch nur Obamas Lahme Enten Legislaturperiode an, deren wichtigste, von den Demokraten so hochgepriesene Errungenschaft, die parteiübergreifende Zustimmung für Steuererleichterungen ist. Steuererleichterungen für die Reichen. Gleichzeitig – von der Öffentlichkeit beinahe unbemerkt – erhöhte die Regierung die Steuern für die Angestellten des öffentlichen Dienstes. Man nannte das nicht Steuererhöhung, sondern „Einfrieren“ – was aber letztlich auf das Gleiche hinausläuft, zumal dieses Festfrieren der Gehälter für 5 Jahre gelten soll.
Seit Monaten werden wir von einer Propagandawelle überzogen, die ablenken soll, von den für die Wirtschaftskrise Verantwortlichen wie Goldman Sachs, Citigroup, JPMorgan Chase und ihren Helfershelfern von der US Notenbank und die Aufmerksamkeit auf die eigentlichen Schuldigen lenken soll: auf Lehrer an Brennpunktschulen, Polizisten, Feuerwehrleute und die Männer von der Müllabfuhr, auf ihre riesigen Pensionen, ihre unglaublichen Luxuskrankenversicherungen und ihre Gewerkschaften. Sie sind die wahren Bösewichte, sie sind es, die dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche ziehen, damit ein Polizist nicht verhungern muss, wenn er in Rente geht. Das ist das gefährliche Spiel, das jetzt auch in Madison gespielt wird..
Der Chef von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, erhielt gerade einen Bonus von $12,5 Millionen und auch sein Grundgehalt wurde um mehr als das Dreifache erhöht. Dies darf jedoch niemanden überraschen, denn seit 30 Jahren haben es die unterschiedlichsten US Regierungen den Firmenbossen immer leichter gemacht, ihre Gehälter selbst festzulegen. Man spricht inzwischen immer öfter von Ungleichheit, aber man vergisst dabei, dass diese extreme, zum himmelschreiende Ungleichheit fast nur ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Der Reichtum der nächsten zehn Prozent der Bevölkerung bewegt sich in quasi normalen, durchaus gewollten Sphären.
Amy Goodman:
Was berichtete die „New York Times“ über Madison?
Noam Chomsky:
Das ist eine interessante Frage, denn am 12. Februar lautete die Schlagzeile der „New York Times:“ „Mubarak geht“ und „Die Armee übernimmt die Macht.“ Diese Meldung kommt 60 Jahre zu spät, denn die Armee ist dort seit 1952 an der Macht.Weiter hinten in der Zeitung findet man dann einen Artikel über den Gouverneur von Wisconsin, der aus seinem Angriff auf die Pensionen der Angestellten des Öffentlichen Dienstes und die Tarifautonomie der Gewerkschaften nicht den geringsten Hehl macht. Sollte sich Widerstand gegen sein Gesetz erheben, würde er sogar die Nationalgarde zu Hilfe rufen, In Ägypten hat öffentlicher Protest den Präsidenten aus dem Amt gejagt. Auch wenn man noch nicht genau weiß, wie es dort weitergehen wird. Der Freude darüber ist groß.
Deshalb ist es ermutigend zu sehen, dass in Madison Zehntausende Tag für Tag auf die Straße gehen. Vielleicht ist dies ja der Beginn eines notwendigen Aufruhrs für die Demokratie, die bei uns fast zu einer leeren Hülle verkommen ist.
Die „Financial Times“ von heute sagt voraus, dass die nächsten Wahlkampfkosten von voraussichtlich 2 Milliarden Dollar alle bisher bekannten Dimensionen sprengen werden.
Erst kürzlich hat die Regierung einen Verantwortlichen für „Jobs“ ernannt. Doch inzwischen klingt „Jobs“ mehr wie „Profit“, was man natürlich nicht laut sagen darf. Verantwortlich für diese Arbeitsbeschaffung ist Jeffrey Immelt, der Chef von General Electric, einem Konzern, der mehr als die Hälfte seiner Arbeitsplätze ins Ausland ausgelagert hat. Das zeigt, wie sehr ihm die Schaffung von Arbeitsplätzen in den USA am Herzen liegt. Was jedoch zählt, sind seine guten Verbindungen zu den Superreichen, die 1 bis 1.5 Milliarden Dollar für den Wahlkampf spenden werden.
Juan Gonzalez:
Ich würde von Ihnen gerne etwas über die seit einigen Monaten landesweit koordinierten Angriffe auf die Gewerkschaften erfahren. Hier in New York finanzierten die wichtigsten Geschäftsleute eine sowohl vom demokratischen Gouverneur Andrew Cuomo wie vom republikanerfreundlichen Bürgermeister Bloomberg unterstütze 10 Millionen Dollar Anzeigenkampagne. Nachdem sie in der Privatwirtschaft die Gewerkschaften fast völlig entmachtet haben, scheinen sie es jetzt auf den öffentlichen Dienst abgesehen zu haben.
Dabei waren es nicht zuletzt auch die Gewerkschaften, die Obama und Cuomo zum Sieg verhalfen.
Noam Chomsky:
Angriffe auf die Industriegewerkschaften hat es seit dem 2. Weltkrieg gegeben. Man fürchtete sich vor einer ähnlichen Radikalisierung der Bevölkerung wie man sie während der Depression und während des Krieges erlebt hatte. Das begann 1947 mit der Dämonisierung der Gewerkschaften durch Taft-Hartley und führte geradewegs zur Reagan Administration. Als gleich zu Beginn seiner Regierungszeit die Fluglotsen streikten, holte Reagan Streikbrecher – eine bis dahin unerhörte, in vielen Ländern illegale Maßnahme. So machte er der Wirtschaft klar, dass man sich ab sofort nicht mehr an Arbeitsschutzgesetze halten müsse. Während seiner Regierungszeit verdreifachte sich auch die Zahl der illegalen Kündigungen von aktiven Gewerkschaftsmitgliedern und Betriebsräten. Den Streikbrechern im Fluglotsenstreik folgten bald die bei der Firma Caterpillar. Bis dahin hatte es so etwas nur noch in Südafrika gegeben.
Die Keule, die die Clinton Regierung 1994 gegen die Gewerkschaften einsetzte, war NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Damit konnte jeder Streikaufruf mit der Androhung von Outsourcing nach Mexiko im Keim erstickt werden. Heute sind nur mehr sieben Prozent der Industriearbeiter gewerkschaftlich organisiert. Das heißt keineswegs, dass sie keine Gewerkschaften wollen, sondern, dass die Politik keine Gewerkschaften will, weil sie das Geld der Reichen für ihren Wahlkampf braucht. Und da sich immer mehr Reichtum in immer weniger Händen befindet, benötigt man, um Wahlen zu gewinnen und im Amt zu bleiben, Leute wie Jeffrey Immelt und Lloyd Blankfein. Obamas Spenden übertrafen McCains um Längen und sie kamen hauptsächlich aus dem Finanzsektor. Dank seines Amtsinhaberbonusses dürfte es ihm auch gelingen, die prognostizierten 2 Milliarden Spendengelder für den nächsten Wahlkampf einsammeln.
Amy Goodman
Meine nächste Frage befasst sich mit dem Wirbel, der um den 100. Geburtstag von Ronald Reagan gemacht wird. Präsident Obama hat dazu sogar eine eigene Kommission ins Leben gerufen.und öffentlich erklärt, dass wir Präsident Reagan einen neuen Optimismus verdanken, der sowohl unsere große Politik wie unsere kleinen Alltagsangelegenheiten zu durchdringen vermag.
Noam Chomsky:
Diese Glorifizierung Ronald Reagans ist ein Skandal, der viel über unser Land aussagt. Als Reagan aus dem Amt ausschied, war er nach Nixon der unbeliebteste lebende Präsident, sogar unbeliebter als Jimmy Carter. Auch während seiner Amtszeit erreichten seine Popularitätswerte kaum Mittelmaß. Er schadete der amerikanischen Wirtschaft. Bei seinem Amtsantritt waren die USA die wichtigsten Gläubiger, bei seinem Ausscheiden die größten Schuldner. Seine Finanzpolitik war verantwortungslos, er warf das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster und blähte den Regierungsapparat auf. Er war ein vehementer Gegner Freier Märkte. Er baute riesige Schutzwälle um das inkompetente amerikanische, von der Überlegenheit Japans bedrohte Management. Seine Deregulierungspolitik löste die erste große Finanzkrise aus. Am Ende seiner Amtszeit war das Land bankrott.
Über seine schreckliche Außenpolitik möchte ich erst gar nicht reden. Wollen wir unseren wiedergewonnen Optimismus wirklich dem Tod von hunderttausenden Menschen in Mittelamerika verdanken oder unserer Unterstützung von Südafrika bei der Ermordung von 1,5 Millionen Menschen? Kaum war Reagan aus dem Amt, begann man auch schon, die Heiligsprechung dieses jämmerlichen Wesens vorzubereiten. Und das mit Erfolg. Der nordkoreanische Regierungschef wäre Kim Il sung wäre zu tiefst beeindruckt. Denn das, was sich bei Reagans Tod abspielte, passiert normalerweise nur in totalitären Staaten. Ich warte nur noch darauf, dass ähnlich wie in Nordkorea demnächst auch über Reagans Geburtsstadt ein Heiligenschein aufleuchten wird.
Auf diese Art und Weise stellt man die Bürger ruhig.
Amy Goodman
Sie und Democracy Now! versuchen seit Jahren, die Bevölkerung aufmerksam zu machen auf die Versuche der US Bundespolizei FBI, politische Organisationen und Bürgerrechtsgruppen mit Razzien zu diskreditieren und zu schikanieren.
Chomsky
Die Polizeirazzien sind schlimm genug, aber noch schlimmer ist das, was sich dahinter verbirgt. Im Rechtsstreit Holder gegen Humanitarian Law Project entschied der Oberste Gerichtshof auf Antrag der Regierung Obama, dass die Bundesregierung die Bereitstellung materieller Unterstützung an von ihr als terroristisch deklarierte Organisationen verbieten darf. Nach der Auslegung des Gerichts fällt auch die Redefreiheit unter dieses Verbot, denn das Humanitarian Law Project, hatte die als terroristisch eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK juristisch beraten und ihr empfohlen, in Zukunft gewaltlos zu agieren. Das bedeutet, wenn Sie oder ich einem Hamasführer raten würden, nur mehr gewaltlosen Widerstand zu leisten, dann hätten wir damit einer terroristischen Organisation gesetzlich verbotene materielle Hilfe zukommen lassen. Diese Terroristenliste illegal und beruht auf reiner Willkür.1982 beschloss Reagan, seinen neuen irakischen Freund Saddam Hussein von dieser Liste zu streichen. In die so entstandene Lücke setzte man ausgerechnet Kuba, das Land, das jahrelang das Ziel heftigster terroristischer Angriffe gewesen war. Und heute kriminalisiert die Regierung Obama juristischen Beistand und hetzt die Polizei auf ihre Bürger.
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