Radio Lora, September 14, 2014 und
Alternative Radio
Town Hall, Seattle, WA 17.Juni.2014
Im Juni 2013 enthüllte Glenn Greenwald in der britischen Tageszeitung The Guardian Washingtons Überwachungsexzesse. Sein Exklusivinterview mit dem ehemaligen NSA Mitarbeiter Edward Snowdon war eine Weltsensation. Der inzwischen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete amerikanische Rechtsanwalt und Journalist ist Autor der Bücher “How Would a Patriot Act” (auf deutsch: “Die globale Überwachung”), “With Liberty and Justice for Some” und “No Place to Hide”. Zusammen mit Laura Poitras und Jeremy Scahill gründete er 2014 die Webseite “The Intercept.”
Seit ich vor einem Jahre Edward Snowden in Hongkong getroffen habe, ist nichts mehr so wie es vorher war, denn seine Enthüllungen haben bewiesen, dass nicht nur ein paar Terroristen oder Schwerverbrecher unter massiver Beobachtung der Geheimdienste stehen, sondern wir alle. Dass ich heute in Südamerika, in Europa und in den USA in vollen Sälen sprechen und diskutieren kann, zeigt, wie groß das Interesse an diesem Thema ist. Den Menschen und den betroffenen Regierungen bereitet nicht allein ihre Überwachung Sorgen, sondern auch die schamlose Missachtung ihrer Privatsphäre durch staatliche Behörden und die bittere Erkenntnis, wie sehr sich Präsident Obama von seinen Wahlversprechen entfernt hat und wie unkritisch viele Journalisten gegenüber dem Staat sind. Mein Anliegen ist, Sie über die Aktivitäten der Geheimdienste aufzuklären; denn das Meiste, was in den amerikanischen Medien während der vergangenen zwölf Monate über Edward Snowden und unsere Veröffentlichungen berichtet wurde, ist schlichtweg falsch.
Eine der von CNN, MSNBC und besonders von Fox verbreiteten Mythen ist, dass Edward Snowden seit Jahren chinesischer bzw. sobald er in Moskau ankam, jahrelanger russischer Spion gewesen sei. J. Epstein zitierte im The Wall Street Journal einen Regierungsbeamten, der sogar eine chinesisch-russische Spionagekonspiration für möglich hielt. Die Tatsache, dass die chinesische Regierung auf seine Ausreise aus Hongkong bestand und er in Moskau fünf Wochen im Transitbereich ausharren musste, spricht nicht gerade für eine Vorzugsbehandlung für einen Spion. Er saß in Moskau fest, weil die amerikanische Regierung seinen Pass über Nacht für ungültig erklärt und Kuba gezwungen hatte, seine Überflugerlaubnis zu widerrufen.
Wäre Edward Snowden wirklich ein Spion, er hätte sein Material für mehrere Millionen Dollar verkauft oder es heimlich an Amerikas Feinde weitergegeben. Statt dessen hat er es seriösen Journalisten zur Veröffentlichung überlassen, damit diese seine Landsleute informieren konnten. Dass die Medien heute, wie schon 1971/72 bei Daniel Ellsberg, trotzdem weiterhin auf ihren Lügen beharren, sagt mehr über ihre Korruptheit aus als über Snowden, der es als seine demokratische Pflicht ansah, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die gefährlichen Überwachungspraktiken zu beenden. Für seine politischen Ideale war er sogar bereit, seine persönliche Freiheit zu opfern.
Bemerkenswert ist auch seine Verunglimpfung als “ruhmsüchtiger Narziss”, die innerhalb von nur 48 Stunden nach Erscheinen seiner Enthüllungen zeitgleich in Face the Nation, der New York Times, der Washington Post und bei CNN auftauchte. Die Schnelligkeit dieser plötzlich allgegenwärtigen psychologischen Ferndiagnose war doch sehr erstaunlich. Edward Snowden ist weder ein russischer Spion noch ein ruhmsüchtiger Narziss. Bereits bei unserem ersten Online- Kontakt erklärte er, dass er sich auch auf die Gefahr hin, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen, als Whistleblower zu erkennen geben wolle, um sich danach sofort wieder aus der medialen Öffentlichkeit zurückzuziehen. Als eitler Narziss hätte er sich sechs Monate lang zur besten Sendezeit in allen Talkshows der Welt produzieren können.
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Warum nur werden Whistleblower und Dissidenten immer wieder als gefährliche Geisteskranke diffamiert? Also jene Menschen, die zivilen Widerstand leisten und bereit sind, für eine gerechte Sache auch Gesetze zu übertreten. Ein gutes Beispiel dafür war die Reaktion auf die Weitergabe von Videos aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak an WeakiLeaks. Besonders die Dokumente aus dem Irak deckten die bis dahin geheimgehaltenen ungeheuerlichen Kriegsverbrechen der USA und ihrer irakischen Verbündeten auf. Als die New York Times mit der Schlagzeile: “Dokumente enthüllen US Gräueltaten im Irak” erschien, wurde in der selben Ausgabe und genauso prominent über Julian Assange, den Sprecher von WeakiLeaks, als ungewaschenen, abstoßenden, paranoiden Sonderling hergezogen. Nicht anders erging es Chelsea Manning: Während sie völlig rational schilderte, wie sie als ursprüngliche Befürworterin des Irakkrieges erst durch Korruption und Misshandlungen nicht mehr Teil dieses Krieges sein wollte, und deshalb beschloss, die Welt wissen zu lassen, welche Kriegsgräuel dort begangen und vertuscht wurden, behaupteten die US Medien, dass ausschließlich ihre Geschlechtsidentitätsprobleme und ihre schwierige Kindheit der Grund für ihr Handeln gewesen seien. Auf diese Weise will man nicht nur von den eigentlichen Skandalen ablenken, sondern Whistleblower und Oppositionelle generell als Psychopathen abstempeln. Das bedeutet nichts anderes, als dass man geistig verwirrt sein müsse, um am politischen System der USA etwas auszusetzen zu haben. Oppositionelle für geisteskrank zu erklären, war schon immer eine wirkungsvolle Unterdrückungsmaßnahme.
Ein weiterer, kritiklos akzeptierter Mythos ist, dass das staatliche Überwachungssystem ausschließlich unserer eigenen Sicherheit dient und sich nur auf Terroristen und die Planer von Anschlägen bezieht. Wie passt das zusammen mit dem Ausspähen der brasilianischen Präsidentin, der deutschen Kanzlerin, südamerikanischer Ölgesellschaften, von Wirtschaftsgipfeln und all der Menschen, die nichts, aber auch gar nichts mit Terror zu tun haben? Die Dokumente der NSA sprechen dabei eine ganz deutliche Sprache: ihr Tenor lautet nicht : “Informationen über Terroristen sammeln,” sondern: “Alles sammeln! Alles auswerten! Alles ausschnüffeln! Bündnisse schmieden! Alles wissen!” So speichern sie täglich weltweit Milliarden an E-Mails und Telefongesprächen, darunter auch Ihre und meine. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es je ein so riesiges widerrechtliches Überwachungssystem gegeben. Trotzdem klären die Medien nicht auf, sondern lassen die Menschen weiter an die Lüge von der Terrorabwehr glauben.
Natürlich ist es nicht immer leicht, den Bürgern bewusst zu machen, wie wichtig der Schutz ihrer Privatsphäre und ihrer persönlichen Freiheit ist, während sie damit beschäftigt sind, ihre Kinder satt zu bekommen, gute medizinische Versorgung zu erhalten und ihren Job nicht zu verlieren. Immer wieder sagt man mir: “ich habe doch nichts Böses getan, also habe ich nichts zu verbergen und meine E-Mails kann jeder lesen.” Doch in Wahrheit wollen die Menschen aber keineswegs, dass man alles über sie weiß, warum sonst haben sie Passwörter für ihre PCs und Smartphones, warum Schlösser an ihren Schlafzimmer- und Badtüren? Haben wir nicht alle viele Geheimnisse, von denen niemand etwas wissen soll, obwohl es dabei weder um Gewalt noch um ein Verbrechen geht?
Völlig fassungslos macht mich, dass die demokratische Vorsitzendes des US Geheimdienst- Ausschusses, Dianne Feinstein, nach unseren Enthüllungen über die Aktivitäten der NSA erklärte, dass das Sammeln sogenannter Metadaten allein noch gar keine Spionage sei.
Dazu muss man wissen, dass sich hinter dem technischen Begriff “Metadaten” das Aufzeichnen unseres gesamten E-Mail- und Telefonverkehrs verbirgt. Auch ohne deren Inhalt zu kennen, lässt sich allein aus dem Anruf bei einer Klinik für Schwangerschaftsabbrüche, einem HIV-Spezialisten, der Hotline für Drogenabhängige oder Selbstmordgefährdete oder den nächtlichen Telefonaten von nicht miteinander Verheirateten mehr über eine Person erfahren als wenn man persönlich gelauscht hätte. Vielleicht sollte man vorschlagen, dass Dianne Feinstein und ihre 8 000 Mitarbeiter täglich nach Büroschluss alle ihre E-Mails und Telefongespräche ins Internet stellen.
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Der Schutz der Privatsphäre ist ein wichtiger Bestandteil unserer persönlichen Freiheit. Eine Welt ohne Privatsphäre ist weder inspirierend noch kreativ, aber dafür umso angepasster und autoritärer. Und das ist auch der Grund, warum Politiker einen Überwachungsstaat so schätzen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass unsere Dokumente beweisen, dass die NSA und die Geheimdienste der Partnerstaaten die Privatsphäre abschaffen wollen. Die Gründe dafür sind genauso vielfältig und widersprüchlich wie jene für die US Invasion des Iraks 2003. Damals wie heute werden wir über die wahren Motive getäuscht. Es ging nie um die Abwehr von Terror oder um unsere Sicherheit. Die Untersuchungskommission zum 9/11 hat herausgefunden, dass die US Geheimdienste damit überfordert waren, aus den Unmengen an gespeicherten Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Als Konsequenz daraus beschloss man, noch mehr Informationen zu sammeln. Wer jede E-Mail und jedes Telefonat dieser Welt speichert, ist außerstande, die Bomberleger vom Boston Marathon, in den Zügen in Madrid und London oder möglicherweise in der Luft über Detroit oder auf dem Times Square zu entdecken.
Könnte es sein, dass dies sogar gewollt ist? Als Folge des 11. September wurden die Geheimdienste mit Geld geradezu überschüttet. Das weckte natürlich Begehrlichkeiten. Die Dienste wurden größer und einflussreicher. Inzwischen landen 75% der Staatsausgaben für die NSA in den Kassen privater Firmen, die im Auftrag der NSA arbeiten. Einer der Hauptgründe für das staatliche Überwachungssystem ist die Machtfülle, die es der Regierung verleiht, besonders dann, wenn Regierungsentscheidungen immer öfter im Geheimen getroffen werden. So trägt der “Krieg gegen den Terror” den Terror in unser Land. Drohnen werden nicht mehr nur im Irak, in Somalia, Pakistan und Jemen eingesetzt, sondern auch hier in den USA. Paramilitärische Polizeikräfte, wie wir sie aus Bagdad kennen, knüppeln in unseren Städten die Occupy Bewegung nieder und die Regierung lässt nicht mehr nur Ausländer ohne Gerichtsverfahren ermorden, sondern auch ihre eigenen Staatsbürger. Die Eliten treibt die Angst um, dass auch hier die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit die politische und wirtschaftliche Stabilität aus dem Gleichgewicht geraten lässt. Die Occupy Bewegung der Linken und die Tea Party Bewegung der Rechten, haben gezeigt, wie groß bereits die Unzufriedenheit der Bürger ist. Darauf kann man entweder mit Reformen oder – wie geschehen – mit einschüchternder Überwachung reagieren.
Wenn ich gefragt werde, was sich nach den vielen Debatten des letzten Jahres geändert hat, kann ich nur davor warnen, zu hoffen, dass die mächtige NSA über Nacht kollabiert, weil wir einige ihrer Geheimpapiere veröffentlicht haben. Die US Regierung wird der US Regierung keine Fesseln anlegen. Hoffnung machen dagegen die Bemühungen der betroffenen Staaten, gemeinsam die amerikanische Internet-Hegemonie zu beenden. US Firmen wie Facebook, Google, Yahoo und Microsoft fürchten bereits um ihre Geschäfte. Die US Regierung ignoriert geflissentlich die Ergebnisse von Umfragen oder den Ärger der Bürger über die Überwachung, sie reagiert aber höchst sensibel auf das, was die Milliardäre aus dem Silicon Valley denken. Und diese Firmenchefs fordern bereits, die Überwachung zu beschränken und werden nicht müde, ihren Kunden zu beteuern, wie sicher ihre Systeme seien.
Meine größte Hoffnung beruht jedoch auf den Menschen, die beginnen, die Verteidigung ihrer Privatsphäre in die eigenen Hände zu nehmen. Aber erst wenn 10 Millionen Menschen ihre Nachrichten verschlüsseln, wird die NSA aufhören, gerade die bisher wenigen “Verschlüssler” besonders unter die Lupe zu nehmen. Wir dürfen nicht länger glauben, dass wir gegen Ungerechtigkeit nichts ausrichten können, weil nach jeder Wahl doch immer wieder nur die gleichen Interessengruppen an die Macht kommen und sich nie etwas ändert.
Edward Snowden hat uns gezeigt, dass dies nicht stimmt. Der Sohn einer bescheidenen Mittelklassenfamilie, arbeitete völlig unauffällig für eine große Firma bis ihn sein politisches Gewissen dazu trieb, etwas Mutiges zu tun, das die ganze Welt veränderte, genauso wie Rosa Parks, die im Bus nicht länger hinten sitzen wollte oder der tunesische Straßenverkäufer, der sich selbst verbrannte und damit eine Kette von Revolutionen auslöste.
Der 29 Jahre alte Edward Snowden gab alles auf, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, zeit seines Lebens darunter zu leiden, dass er es versäumte hatte, etwas gegen ein Unrecht zu unternehmen, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre.
Sein Mut hat Menschen auf der ganzen Welt aufgeweckt, auch mich. Plötzlich waren auch viele Journalisten und Medien bereit, über die Machenschaften der Geheimdienste zu berichten.
Das beweist, dass auch wir – jeder nach seinen Möglichkeiten – statt zu resignieren, die Welt verändern können.
Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
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